Upcoming Architects Facing New Conditions

Interview mit Sven Aretz & Jakob Dürr

Können Sie anhand Ihrer Projekte beschreiben, wofür Ihre Architektur steht?

Ein gutes Beispiel dafür ist das Haus D in Oberberg, bei dem es viel Auseinandersetzung mit der Bauphysik gab, weil wir versuchten, ein möglichst einfach gedachtes, damit cleveres Gebäude zu entwickeln. Im Vordergrund stand die Frage: Welche Aufgaben kann die Gebäudestruktur aus sich heraus leisten, ohne technisch groß aufgerüstet werden zu müssen? Also Low statt High Tech. Das besagte Haus basiert auf einem ganz einfachen Prinzip: Es hat zwei große Schleppdächer, die so ausgerichtet sind, dass die Sonne im Sommer draußen bleibt und im Winter reinkommt. Deshalb haben wir auch eine einfache Doppelverglasung ausgewählt, sodass wir im Winter möglichst viel Energie ins Gebäude eintragen. Das konnte die Energieeinsparverordnung nicht abbilden. Das heißt, dieses Haus wurde so berechnet, als ob es die Vordächer nicht gäbe. Das klingt absurd, ist aber so. Das erklären Sie jetzt bitte einmal der Bauherrschaft. Die Lösung wäre dann gewesen, teure Simulation zu fahren...im schmalen Budget privater Bauherren ist das in der Regel nicht darstellbar. Die Frage ist, was bringt uns die Entwicklung alternativer Bauweisen, wenn wir diese nur durch extreme Mehrkosten etablieren können? Wenn die Lösung nur sein kann, dass wir sagen: „Okay, liebe Bauherren, wir erreichen die Ziele auf dem Papier nicht, aber sind überzeugt, dass es klappen wird. Das heißt, wir gehen Risiko ein und brauchen absolutes Vertrauen in unsere Bauherrschaft; und diese in uns! Architektur ist keine Einbahnstraße. Die Herausforderung liegt darin, Bauherren davon zu überzeugen, in alternative und sinnige Bauweisen zu investieren, die noch nicht im Bewusstsein der Gesellschaft etabliert sind.




Haben Sie als Architekten der jüngeren Generation andere Werte als die Architektengeneration zuvor?

Eine große Frage! Bei der Beantwortung muss man aufpassen, niemandem auf die Füße zu treten, gar ungerecht zu werden. Also wir glauben, dass sich Architektenschaft, Nutzer und Industrie in den vergangenen Jahrzehnten voneinander entfernt haben. Wir haben angefangen, gegeneinander zu arbeiten und das holt uns gerade ein. Wir müssen in der Entwicklung von sinnvollen Bauweisen wieder zusammenfinden.




Wohnhaus

Stephan Truby spricht vom „Einigeln in Architekturkonservatismus“, den er derzeitig in Deutschland wahrnimmt. Das birgt für ihn auch die ästhetische Regression in Richtung des Vertrauten und der Rekonstruktion. Wie sehen Sie das?

Wir halten es eher damit, etwas Neues zu entwickeln, das dann die Chance hat, auch irgendwann Tradition und Geschichte zu sein. Dass Altes durch Neues ersetzt wird, ist im Grunde ein fortwährendes Thema, das es in der Geschichte immer schon gegeben hat. Dennoch ist Rekonstruktion, bei der man mit dem Grad der Rekonstruktion frei arbeiten kann, eine spannende Aufgabe. Wenn der Städtebau heute genauso angemessen ist wie damals, kann man den Ort wiederherstellen. Ihm aber dann eins zu eins das alte Gesicht aufzusetzen, finden wir befremdlich. Zum Thema Stadtentwicklung gibt es in Tübingen übrigens ein spannendes Beispiel: Der alte Baudezernent sagte damals, als es darum ging, die Konversionsfläche der französischen Truppen zu entwickeln: „Wir machen jetzt Spielregeln. Wir teilen diese Fläche in Blocks von fünfzig mal fünfzig Meter ein und schaffen damit heterogene Eigentumsverhältnisse.“ Pro Block sollten es mindestens sechs Eigentümer sein. Die Politik schlug damals die Hände über dem Kopf zusammen. Und tatsächlich kamen dann 32 private Bauwillige; brachten einen ordentlichen Haufen Geld zusammen, kauften einen Block und entwickelten ihn. Und so ist es dann immer weitergegangen. Natürlich ist das nicht das Allheilmittel, aber es ist sinnvoll, den Menschen eine Möglichkeit einzuräumen, sich an der Stadtentwicklung zu beteiligen und so einen Anteilspluralismus innerhalb einer Stadt aufzubauen.




Gartenhaus

Wie werden sich die Städte in Zukunft weiterentwickeln?

Bestenfalls mit weniger Individualverkehr. Wir sehen außerdem, dass der Abriss immer mehr an Beliebtheit gewinnt. Wir müssen unseren Bestand, wo möglich, weiterentwickeln und zukunftstauglich machen. Hier spielt auch die Klärung des ruhenden Verkehrs eine entscheidende strategische Rolle. Wir können uns außerdem vorstellen, dass immer mehr Dachlagen nachverdichtet werden und wir uns horizontale Grünflächen erstreiten müssen. Darüber hinaus müssen wir mehr gemeinschaftliche Nutzungseinheiten etablieren, die wirklich Qualität haben, um wieder mit einem kleineren Fußabdruck pro Kopf arbeiten zu können. Wünschenswert wäre, dass perspektivisch das Steuersystem so angepasst wird, dass Eigentum im Sinne der Eigennutzung gefördert wird, denn es ist wichtig, dass Menschen sich mehr mit ihrer Umwelt identifizieren. Einzelne sollte nicht nur für sich denken, sondern sich viel mehr in Gruppen zusammenfinden und in Form von Baugemeinschaften oder Genossenschaften die Stadtentwicklung aktiv mitgestalten. Anderenfalls geben wir Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der eigenen Stadt vollkommen aus der Hand. In unseren Augen ist es notwendig, dass Menschen sich Ort und Raum aneignen können.




Wenn der Urbanisierungstrend anhält, welche Lösung bietet Architektur, um mit der zunehmenden Enge umzugehen?

Wir haben aktuell einige Projekte, wo es um Aufstockung und Nachverdichtung geht und wir uns Gedanken machen müssen, wie wir mit wenig Grundstück trotzdem eine gute Wohn- und Lebensqualität erzeugen können.




Wohnhaus

Gast

Portrait Aretz Duerr
Portrait Aretz Duerr

Interview mit Sven Aretz & Jakob Dürr

Aretz Dürr Architektur

Sven Aretz studierte an der RWTH Aachen Architektur - 2016 erhielt er seinen M.Sc. Abschluss in Architektur mit Auszeichnung. In Stuttgart, Krefeld sowie Köln arbeitete er in Architekturbüros, Schreinereien und im Metallbau. Seit 2016 ist Sven Aretz wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Baukonstruktion an der RWTH Aachen sowie als freier Architekt tätig. 2020 wurde er in den Bund Deutscher Architekten (BDA) berufen. 

Jakob Dürr studierte an der RWTH Aachen und ENSAPVS Paris Architektur. 2008 erhielt er seinen Diplom-Abschluss an der RWTH Aachen. Er arbeitete sowohl in Stuttgart und Köln als auch in Paris in Architekturbüros. 2011 gründete er das Architekturbüro Jakob Dürr Architekten. Von 2016  bis 2018 war Jakob Dürr als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Baukonstruktion an RWTH Aachen tätig. Seit 2018 ist er dort Lehrbeauftragter am Lehrstuhl Baukonstruktion. Die Berufung in den Bund Deutscher Architekten (BDA) erfolgte 2020.

Das Architekturbüro Aretz Dürr Architektur wurde 2019 von Sven Aretz und Jakob Dürr in Köln gegründet. 

Gastgeberin

SabineGotthardt
SabineGotthardt

Sabine Gotthardt

Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA

Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.

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