Upcoming Architects Facing New Conditions

Interview mit Sebastian Kofink & Simon Jüttner

Wofür steht Ihre Architektur?

Zu Beginn hatten wir kleine Projekte, die unter nahezu prekären Umständen und hohem finanziellen Druck entstanden sind. Das Finden von einfachen Lösungen und das Hinterfragen von Baustandards war dabei zentral. Wir nennen das gerne Poetischen Pragmatismus. Diesen versuchen wir jetzt auch auf einen größeren Maßstab zu übertragen und schauen, wie dieser in einem öffentlichen Auftragsverhältnis möglich sein kann. Im Grunde sind wir gerade in einer Phase, in der wir versuchen, genau diese Themen für uns zu definieren und zu verfeinern. Aus dem Verzicht, der uns in unseren ersten Projekten als Zwang auferlegt war, wurde eine Haltung. Wir haben festgestellt, dass man vieles gar nicht braucht. Da geht es um Materialstandards, Gebäudetechnisierung und auch stilistische Fragestellungen. Wir glauben mit einem großen ökologischen Bewusstsein zu arbeiten. Außerdem sind wir Verfechter einer Low-Tech-Architektur. Wir selbst benutzen etwa den Begriff ‚Smart Home‘, um Gebäude zu beschreiben, die deshalb schlau sind, weil sie einfach keine Technik brauchen.




Worin sehen Sie Ihre Verantwortung als Architekt?

Man hat als Architekt*in diverse Verantwortungen gegenüber den unterschiedlichsten Akteuren. Aber die Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft ist die, die uns am zentralsten erscheint. Es wird einem sehr leicht gemacht, diese Verantwortung nicht ernst zu nehmen – auf der einen Seite bedingt durch starre Regularien und auf der anderen Seite durch ein, unserer Meinung nach, verzerrtes Bild davon, was eine gelungene Architektur ausmacht. In einem Planungs- und Bauprozess existieren auf verschiedenen Ebenen unterschiedlichste Zwänge – häufig lassen es die Rahmenbedingungen gar nicht zu der Verantwortung konsequent gerecht zu werden. Wir streben trotzdem danach möglichst verantwortungsvoll zu bauen und glauben, dass wir als Architekten auch versuchen müssen Rahmenbedingungen mitzugestalten und in der Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam zu machen.




T.I.A.-House 1 – Wohnhaus

Was sind Ihrer Meinung nach als Architekt derzeit die größten Herausforderungen?

Was uns tatsächlich viel beschäftigt und wo wir überlegen, wie wir damit umgehen, ist die enorme Fülle an Normen und Regularien, die im Grunde viel dazu beitragen, wie Architektur am Ende umgesetzt wird. Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass wir wirklich große klimatische und gesellschaftliche Herausforderungen meistern müssen und auf der anderen Seite eine Überregulierung, die eine kreative, schnelle und ernsthafte Reaktion auf diese Herausforderungen unterminiert. Sich hier für neue Rahmenbedingungen einzusetzen, ist ganz wichtig. Darin liegt eine Verantwortung unserer Disziplin – und eine Chance, dieser wieder mehr Relevanz zu verschaffen. Wir glauben, dass sich die Architektur in den letzten Dekaden – teilweise selbst verschuldet – in der Gesellschaft entmündigt hat. Man hat gewisse Fragestellungen gesellschaftlicher und ökologischer Natur hintenangestellt und damit für die breite Masse wenig Antworten parat. Viele fühlten sich nicht angesprochen von einer Architektenwelt, die ihre ‚Star-Architekten‘ zu pushen scheint. Dieser Begriff ‚Star-Architekt‘ war in den letzten zwanzig Jahren ein Begriff, den die breite Bevölkerung mit Architektur verbunden hat. Wenn sich auf dem Land also jemand ein Architektenhaus leistet, dann gilt er als bescheuert, weil er Geld für etwas ausgibt, das er überhaupt nicht braucht. Er will eigentlich nur angeben – wie mit einem dicken Auto. Und die Leute haben teilweise auch recht. Viele Architekten arbeiten ja noch immer so.




Was fehlt Ihnen an der zeitgenössischen deutschen Architektur?

Die Potenziale, die die jungen deutschen Architekt*innenschaft mitbringt, sind groß. Was fehlt, das ist mehr Spielraum dieses Potential einbringen zu können – auf Seiten der Gesetze und Normen genauso wie bei den Vergabeverfahren. Aber auch ganz allgemein innerhalb der Gesellschaft, in der für die Wertschätzung für architektonische Gestaltung, ja für deren Notwendigkeit ein größeres Bewusstsein erreicht werden muss. Anderen Kulturzweigen wie der Musik und der Kunst ergeht es ähnlich, ihnen bringt man oftmals auch wenig Verständnis entgegen. Wir glauben allerdings nicht, dass man ein Umdenken nur mit einer Architektur-Bildung schaffen kann. Auch auf der politischen Ebene gibt es durchaus Instrumente, um die Baukultur effektiv zu fördern. Flandern wird gerne als Beispiel genannt. Hier wurde die Stelle eines Regierungsbaumeister geschaffen, der unter anderem niederschwellige Wettbewerbsverfahren etablierte, um jungen Architekten Zugang zu Aufträgen der öffentlichen Hand zu erleichtern. Das hat sich schnell positiv auf die Baukultur ausgewirkt. Vielleicht ist so etwas in einem kleinen Land einfacher, wo der Druck der Industrie nicht so groß zu sein scheint wie in Deutschland. Trotzdem sind wir überzeugt, auch bei uns wäre da sehr viel mehr möglich.




Umbauten eines Wohnhauses mit Erweiterung durch Aufstockung mit einem ergänzenden Geschoss

Sie haben in Bezug auf unsere Baukultur drei Wünsche frei. Wie würden diese lauten?

Wir haben natürlich Wünsche, aber es klingt dann schnell so, als würde man jetzt von der Gesellschaft Geschenke erwarten oder als seien die Anderen schuld, dass die Baukultur am Boden liegt. Aber um die Frage zu beantworten: Wir würden uns wünschen, wieder etwas einfacher denken zu dürfen. Man sollte den Architekt*innen die Möglichkeit geben, gewisse Dinge ohne Vorgaben zu entscheiden, gerade bei diesen ganzen Wohnungsbau-Wettbewerben. Wir fragen uns etwa immer, was z.B. diese strikten Wohnungsschlüssel auf der Gebäudeebene sollen. Warum kann ich nicht einfach ein gutes Wohnhaus entwerfen und dann entscheidet der Wettbewerb, ob man das passend findet; immer von Anfang an das Potenzial stark einzuschränken, ist, glauben wir, ein großes Problem. Und wir würden uns ein wenig mehr Zeit wünschen. Wir finden es dramatisch, wie schnell Projekte teilweise entwickelt werden sollen. Wenn wir uns an unsere ersten Projekte erinnern, gab es das nicht. Wir würden uns wünschen, dass man einfach wieder Zeit hat, um im Planungsteam über die Dinge tiefer nachzudenken. Es ist schon witzig, dass die Architektur diesen Geschwindigkeitswahn mitmachen muss. Dabei könnte sie auch als Gegenpol dazu wirken, wenn sie eben nicht nur für dreißig, zwanzig, zehn Jahre geplant und gebaut wird, sondern wieder wie eine Kirche für mehrere hundert Jahre. Im Kontakt mit einer Dame vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, sagte diese kürzlich: „Ja, jetzt haben wir die Regeln. Bis eine Gesetzesänderung durch wäre, dauert es Jahre. (...) eigentlich muss man jetzt in zivilem Ungehorsam dagegen arbeiten.“ Und auch die Stadtbaurätin Münchens, Frau Elisabeth Merk, hat in einem Symposium sinngemäß gesagt: „Wir brauchen nur ein Drittel der DIN-Normen. Dreißig Prozent sind schädlich, dreißig Prozent sind überflüssig und nur dreißig Prozent sind sinnvoll.“ Das ist schon wirklich bezeichnend für die Situation, in der wir uns befinden. Natürlich könnten wir Architekten versuchen, auf die Vorgaben zu pfeifen. Am Ende, wenn es schiefgeht, haben wir aber die Probleme am Hals. Unserer Meinung nach ist es jetzt dringend nötig, dass die Politik reagiert. Dass sie versteht, was hier die Probleme sind.




Gast

Portrae
Portrae

Sebastian Kofink & Simon Jüttner

Buero Kofink Schels

Sebastian Kofink hat eine Ausbildung zum Zimmermann gemacht sowie Innenarchitektur und Architektur in Rosenheim, Prag und Liechtenstein studiert. Er arbeitete für Carsten Nicolai und Roger Bundschuh in Berlin, Martin Bühler in Zürich, Finsterwalderarchitekten in Rom und Regional Associates in Uganda. 2012 bis 2014 war er Assistant am Lehrstuhl für Entwerfen und Gestalten und von 2015 bis 2021 am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren an der TU München. Seit 2021 ist Sebastian Kofink als Dozent an der Hochschule München tätig.

Simon Jüttner studierte Architektur und Stadtplanung an der TU München. Nach seinem Abschluss machte er sich als Architekt und Fotograf selbstständig. So ist er unter anderem Gründungsmitglied des Fotokollektivs PK Odessa Co. 2015 bis 2018 war er als Gastdozent an der Akademie der Bildenden Künste in München und 2020/21 als Lehrauftrag an der Hochschule Stuttgart tätig. 2020 gehörte er zu den Stipendiaten der deutschen Akademie in Rom Villa Massimo. Seit 2021 ist Simon Jüttner Lehrauftrag an der Hochschule München.

2016 erhielten Sebastian Kofink und Simon Jüttner, Architekten des BDA den Förderpreis für Architektur der Landeshauptstadt München. Im Jahr 2014 gründeten sie Buero Kofink Schels.

Gastgeberin

SabineGotthardt
SabineGotthardt

Sabine Gotthardt

Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA

Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.

Weiterlesen ...